Umweltwissenschaftler Dr. Michael Kopatz arbeitet als Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und forscht zu nachhaltigen Lebensstilen und Wirtschaftsformen. Mit D’fakto sprach er über das Forschungsprojekt „Wirtschaftsförderung 4.0“, das die politische und ökonomische Subsidiarität der Regionen optimieren soll. Ziel des Projektes ist die Stärkung von regionalen und kooperativen Geschäftsmodellen.
Dr. Michael Kopatz
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Projektleiter Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik
Dönnersberg 19
42103 Wuppertal
Tel. +49 202 2492-148
michael.kopatz@wupperinst.org
D’fakto: Herr Dr. Kopatz, Wirtschaftsförderung 4.0 ist der Name eines Forschungsprojektes, das derzeit in Osnabrück läuft. Worum geht es da genau?
Kopatz: Das Projekt möchte die regionale Wertschöpfung in Osnabrück (Stichwort: „Made in Osnabrück“) und kooperative Wirtschaftsformen systematisch
fördern, um die regionale Wirtschaftsstruktur zu stärken. Flankierende Ziele sind Klimaschutz und ein sparsamer Umgang mit Ressourcen. Das Wuppertal Institut leitet die Forschungsarbeiten des vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes. Das Konzept der Wirtschaftsförderung 4.0 betrachtet die gesamte Wirtschaft der Stadt Osnabrück und der Region und geht damit
über eine reine Unternehmensförderung hinaus. Die Handlungsfelder bergen Potenziale zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen – ehrenamtlich und für den Lohnerwerb.
D’fakto: Angesichts von Globalisierung und Internetshopping verlässt immer mehr Geld die eigene Region. Wirtschaftsförderung 4.0 soll diesen Prozess stoppen. Wie?
Kopatz: Ganz einfach: Menschen müssen motiviert werden, ihr Geld lokal auszugeben. Wirtschaftsförderung 4.0 beruht auf mehreren Standbeinen:
Sharing Economy und Sozialunternehmen wie Carsharing, Tauschplattformen, Reparaturwerkstätten oder Regionalläden, wo Menschen sich begegnen. Oft entstehen aus solchen Initiativen
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Ein weiteres Standbein ist die Finanzwirtschaft. Es gibt viele lokale Produzenten etwa von Deos oder Hosen, die man durch Mikrokredite unterstützen
könnte.
Auch das Local Business spielt eine wichtige Rolle: Die Menschen müssen merken, dass sie Arbeitsplätze sichern, wenn sie vor Ort einkaufen. Genauso ist die
Produktion vor Ort wichtig: Von Aquaponik über regionale Energieerzeugung, Direktvermarktung in der Landwirtschaft, Dorfläden, Nahversorgung bis zu 3-D-Druck reicht hier die Palette der
Möglichkeiten. Bei Wirtschaftsförderung 4.0 geht es um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Güter sollten im Nah-Raum hergestellt werden, wann immer dies praktisch möglich und wirtschaftlich
sinnvoll ist. Das Konzept richtet sich nicht gegen die Globalisierung, aber Wirtschaftsförderung 4.0 fördert Lokalpatriotismus und die Identifikation mit der Region. Städte und Region können nur
davon nur profitieren.
D’fakto: Vieles von dem, was Sie benennen, beruht auf ehrenamtlichem, bürgerschaftlichem Engagement: Tauschen, Reparieren, Sozialkaufhäuser – wo
bleibt da die Wertschöpfung? Die Arbeitsplätze? Wo wird da Geld verdient?
Kopatz: Die Handlungsfelder der Wirtschaftsförderung 4.0 bergen Potenziale zur Sicherung und Schaffung von sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätzen. Beispielsweise sind durch den Boom beim Carsharing viele Jobs entstanden. „Alternative Energien“ wurden lange Zeit belächelt, inzwischen sichern sie das Auskommen von
hunderttausenden Handwerkern und Ingenieuren. Beide Entwicklungen haben ihren Ursprung in bürgerschaftlichem Engagement. Es geht bei Wirtschaftsförderung 4.0 auch nicht allein um auf Geld
basierten Austausch. Das wird schon dadurch deutlich, dass mehr als die Hälfte aller geleisteten Arbeit nicht bezahlt wird, etwa für Betreuung von Kindern, Pflege von Angehörigen oder Betreuung
von Jugendgruppen. Aber ohne diese Formen der Wirtschaft könnte auch der erwerbliche Bereich nicht existieren.
D’fakto: Was sind die ökonomischen Vorteile von Wirtschaftsförderung 4.0?
Kopatz: Konsequent umgesetzt, liefert das Konzept Stabilität in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und bindet Rendite in der Region. Die systematische Förderung der Regionalwirtschaft, etwa in Form von Buy Local-Initiativen schaffen und sichern Arbeitsplätze im Einzelhandel vor Ort und stärken diesen gegenüber dem Onlinehandel. Für hoch qualifizierte Menschen, die sich ihren Arbeitsort aussuchen können, ist von Interesse, was sich in einer Stadt tut. Wie engagiert und vernetzt sind die Menschen? Wie sind Stimmung und der soziale Zusammenhalt? Sind da Menschen, die sich mit ihrer Stadt identifizieren? Kooperative Wirtschaftsformen praktizieren im Moment vor allem die besonders gut qualifizierten Bürger. Das wissen auch Unternehmen: Hier werden sie mit ihren Rekrutierungsstrategien eher Erfolg haben.
D’fakto: Und über das Ökonomische hinaus: Welche Vorteile bietet Wirtschaftsförderung 4.0 noch?
Kopatz: Zum Beispiel landwirtschaftliche Direktvermarktung: Sie sichert nicht nur Arbeitsplätze und verhindert, dass die umliegenden Landwirte sich
dem Wettbewerb um Dumpingpreise aussetzen müssen. Sie verkürzt auch noch Wertschöpfungsketten und leistet deshalb einen Beitrag zum Klimaschutz. Wirtschaftsförderung 4.0 setzt aber auch einen
Kontrapunkt zu nationalistischen Ideen und Rechtspopulismus, weil gerade diejenigen, die ohnmächtig, zu kurz gekommen sind, hier eingebunden werden in die Gemeinschaft. Teilen, Tauschen,
Verschenken, Kooperieren, Selbsthilfe, all dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl, den sozialen Zusammenhalt. Die Menschen kommen sich viel näher als gewöhnlich. Egal was man teilt, ob Ressourcen,
Produkte oder Räume, die Menschen kommen miteinander in Kontakt, das Zugehörigkeitsgefühl wird gestärkt, man ist Mitglied einer Gemeinschaft. Viele Anhänger von nationalistischen Bewegungen
fühlen sich von der Gesellschaft schlecht behandelt, fürchten Globalisierung, Fremdbestimmung und Migration. Es dominiert ein Gefühl der Ohnmacht gegen die „da oben“. Die Maßnahmen der
Wirtschaftsförderung 4.0 befördern Erfahrungen der Selbstwirksamkeit.
Wirtschaftsförderung 4.0 stärkt aber auch die wirtschaftliche und soziale Sicherheit: In Zeiten von Onlinehandel, Marktsättigung, demographischem Wandel und
Digitalisierung erwarten viele Experten, dass etwa künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge enorme Jobverluste mit sich bringen werden. Man denkt über Grundeinkommen nach. Sicher ist,
dass die Maßnahmen der Wirtschaftsförderung 4.0 auch dann tragfähig sind, wenn es zu drastischen Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt kommt. Es ergeben sich Möglichkeiten für den direkten Austausch
von Leistungen und Produkten, die besonders für Menschen mit Teilzeitbeschäftigung oder geringem Einkommen von Interesse sind. Denn weniger Zeit für Erwerbsarbeit bringt mehr Zeit für kooperative
Arbeitsformen mit sich. Und nicht zuletzt: Die Wirtschaftsförderung 4.0 bietet auch Antworten auf die Trends Altersarmut und Pflegenotstand.
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